Temperament, Selbstdisziplin & Tantra
Bevor man mit irgendeinem Weg für das innere Wachstum beginnt, muss man sich über die Art des eigenen Temperaments im Klaren sein. Die tantrischen Weisen erkannten, dass diese individuellen Unterschiede verschiedener Denkmechanismen, Unterschiede im Chemiehaushalt des Körpers und unterschiedliche Reaktionsweisen auf Umweltreize mit sich bringen.
Ziel des tantrischen Weges ist es Sattva zu entwickeln – was durch Disziplinen wie Schlichtheit, Gebet, Hingabe, Selbstbetrachtung, Selbsterkenntnis, Nächstenliebe, Güte, Regelmäßigkeit erreicht wird.
Hinzu kommen die in Patanjalis Raja-Yoga beschriebenen Techniken der ersten 2 Glieder Ashtangas wie Yama und Niyama, bei denen Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Ehrlichkeit, Gewaltlosigkeit, Reinlichkeit und Zölibat im Vordergrund stehen.
Ein guter spiritueller Lehrer betrachtet seine Schüler sehr genau und gibt ihnen dann Übungen und Techniken, die Ihrem individuellen Temperament entsprechen. Des wegen ist hier Unterricht in vollkommener Achtsamkeit, und in einer individuellen Form maßgeblich.
Was ist nun mit dem Temperament im Tantra gemeint ? Hier kommt nun Ayurveda ( & mit seinen reichhaltigen tantrischen Schriften (tantra-shastra/Schriften) ins Spiel ……
Weiters ist VORERST ZU BEGREIFEN, besonders für die westlichen Menschen, dass es klar zu trennen gilt zwischen:
kama-shastra/ Schriften: in etwa Literatur über gesunde Liebestechniken, Künsten…
tantra-shastra/ Schriften über Naturwissenschaften (Biologie, Astronomie, Physik …uvm)
Temperamente, Selbstdisziplin und Ayurveda…….
Die Wissenschaft des Tantra beschäftigt sich mit dem Leben und den Existenzbedigungen. Dieses Leben wird durch bestimmte Gesetze erzeugt und funktioniert nach bestimmten Gesetzen.
Jede lebende Einheit, obwohl verschieden von jedem anderen Individuum, trägt in sich die gleichen Grundbausteine. Die individuellen Unterschiede bringen eine Vielfalt verschiedener Verhaltensmuster mit sich. Diese Unterschiede wurden von verschiedenen Wissenschaften auf verschiedene Weisen verstanden.
Ein Psychologe benutzt vielleicht Begriffe wie Introversion, Extroversion und Ambiversion, um verschiedene Verhaltensmuster zu umschreiben. Sheldon teilt die menschlichen Typen in Endomorphe, Ektomorphe und Mesomorphe ein.
Für einen ayurvedischen Arzt sind die Menschen von Vayu (Luft), Pitta (Galle) oder Kapha (Schleim) beherrscht. Die Weisen betonen die Bedeutung von Sattva, Rajas und Tamas, der drei Gunas oder Energieformen, die die ursprüngliche Lebensenergie (Mulpakriti) in sich tragen.
Im nichtmanifestierten Zustand befinden sich die Gunas im Gleichgewicht. Wenn das Gleichgewicht gestört wird, erscheint das manifestierte Universum. Bei diesen drei Energieformen handelt es sich in Wirklichkeit um eine einzige Energie, die in drei Formen auftritt. Sie sind untereinander wandelbar. Sattva und Tamas sind statische Prinzipien und können sich nicht aus sich selbst heraus bewegen. Rajas ist das dynamische Prinzip, das unaufhörlich Sattva in Tamas verwandelt, und umgekehrt.
Der Begriff Sattva ist von der Sanskritsilbe Sat abgeleitet, die Wahrheit oder Essenz bedeutet. Rajas bedeutet Aktivität; Tamas ist die verschleiernde Kraft, die Trägheit.
Gemäß der tantrischen Lehre werden die Temperamente von drei Bhavas (emotionale Zuständen) beeinflusst:
- Pashu-Bhava (Pash=Lasso, binden) ist der Zustand in dem das Bewusstsein von Tamas, Trägheit, Schläfrigkeit und Unwissenheit beherrscht wird.
- Vira-Bhava (Vir=heroisch, tapfer, aktiv) ist der Zustand, in dem Rajas dominiert.
- Divya-Bhava ist der göttliche Zustand, in dem das Bewußtsein von Sattva durchdrungen ist.
Tantra zeigt, wie Ayurveda, vielleicht noch umfangreicher, Wege einer gesunden, positiven und bewussteren Lebensführung in allen Bereichen, Welten, und Umwelten. Dies mit einer kaum überschaubaren vedischen & tantrischen Literatur. Yoga ist eine Disziplin davon.
Es ist ein Fehler, jedem Menschen das gleiche zu Lehren, oder alle Menschen „über einen Kamm zu scheren“. Die tantrischen Weisen glauben an den Spruch >munde munde matir bhina<: Es gibt so viele Meinungen, wie es Köpfe gibt.
Jeder Verstand ist eine Welt für sich, jeder Körper ein Mikrokosmos, und doch enthalten alle die gleichen Bestandteile – wenn auch in verschiedenen Proportionen. Die Komponenten, die jedes individuelle Selbst in sich trägt, sind die fünf Elemente -wie im Ayurveda ersichtlich – (Akasha, Luft, Feuer, Wasser und Erde) und die vier inneren Instrumente (Mind, Intellekt, Gedächtnis und Ego).
Die tantrischen Seher erkannten, dass dem Mind die Fähigkeit der Erkenntnis gegeben ist und dass der Intellekt und das Ego mit dem Mind ihre Spiele treiben. Diese Vorstellungen und Phantasien eines Menschen sind die Fallen, in denen er oder sie sich verfängt. Auf der physiologischen Ebene bestehen wir aus Gegensätzen – den Protonen und Neutronen auf der atomaren Ebene oder den Säuren und Basen auf der Ebene der Körperchemie. Durch diese Gegensätze erfahren wir Dualität und erleben in unseren Köpfen einen ständigen, unaufhörlichen Dialog. Diese Dichotomie beruht auf unserer grundlegenden Bipolarität.
Die tantrischen Techniken nutzen die individuellen Unterschiede in Körperchemie und Temperament, um den einzelenen zu seinem Ziel, der Glückseligkeit zu führen. Diese Glückseligkeit kann durch Selbstvervollkommnung erfahren werden, dadurch, dass man lernt, Körper und Geist zu beherrschen und sich von der Körper/Geist-Falle befreit.
Das höhere Selbst (physiologisch betrachtet die Großhirnrinde mit ihrer rechten und linken Hemnisphäre) und das niedere Selbst (der untere Hirnbereich, Wirbelsäule, Medulla oblongata und Hirnstamm) müssen mit einer Methode reguliert werden, die auf allen Ebenen gleichzeitig wirkt.
Unsere größte Falle ist die Identifikation mit dem Körper und unseren Stimmungen.
Wir betrachten unsere subjektive Realität als absolute Realität und vergessen, dass der Bezugsrahmen, durch den wir die Realität verstehen, unser begrenztes „Ich“ und nicht unser wirkliches Selbst ist.
Mit den Worten Lama Govindas: Wenn wir unseren momentanen Zustand mit einer dauerhaft und unabhängi existierenden Einheit oder einem autonomen „Selbst“ verwechseln, wird das Bewusstsein in einer einseitigen Position fixiert und wird somit zu einem Hindernis. Als relativer Bezugspunkt, der eine Verbindung zwischen vergangen und gegenwärtigen Erfahrungen herstellt, ist das „Ich“ oder die Wahrnehmung einses sich unaufhörlich selbst erschaffenden inneren Zentrums jedoch ein wesentlicher Teil der Struktur eines Bewusstseins, das sich selbst und die Welt, in der es lebt, bewusst wahrnimmt.
TANTRA versucht, diesen Fehler zu korrigieren, indem es uns durch verschieden Techniken zur Eliminierung der durch dieses „Ich“ entstandenen Selbstsucht die Einheit in der Vielfalt bewusst macht.
Durch die Hingabe an die Übungstechniken, einer Herstellung einer Ordnung im eigenen Leben, und spirituelle Erfahrungen löst sich die falsche Vorstellung dass „ich und mein“ im Gegensatz zu „du und dein“ steht, auf. Durch die spritiuelle Erfahrung betritt man die vierte Bewusstseinsebene „Turiya“. Nicht zu verwechseln mit samadhi.
Dieser Zustand wird erreicht, wenn die Energie in sushumna den zentralen Kanal für die zusammengerollt schlafende Kundalini-Energie eintritt. Während einer spirituellen Erfahrung macht der Körper viele elektrochemische und hormonelle Umwandlungsprozesse durch. Diese physiologischen Veränderungen erzeugen Bewusstsein.
Ohne echte spirituelle Erfahrungen kann der Zustand der Nondualität nicht im Bewusstsein verankert werden.
Wie Buddha im Dhammapada sagt, gibt es neun Hindernisse des Mind: Krankheit, Unzulänglichkeit, Zweifel, Illusion, Faulheit, Schwelgerei, falsche Vorstellung, Nichterreichen eines yogischen Zustandes und Instabilität eines yogischen Zustandes. Freundlichkeit gegenüber den Glücklichen, Mitgefühl mit den Unglücklichen, Wohlwollen mit den Tugendhaften, und Gleichgültigkeit gegenüber den Verdorbenen versetzen den Mind in einen Zustand heiterer Gelassenheit.
Er sagt: „Alles Leid kann durch das Verhalten, ehrfurchtsvolle Vertrauen, Enthusiasmus, Besinnung, Konzentration und das richtige Wissen geheilt werden.“
TANTRA-YOGA verschreibt uns für unsere Heilung die sechs Schätze. Sie helfen uns, die Hindernisse des Mind zu überwinden und die inneren Werte zu erlangen, die zur spirituellen Erfahrung führen. Die sechs Schätze sind: (Sama, Dama, Uparati, Titikasha, Samadhan, Shraddha) :
- Innere Ruhe, Selbstbeschränkung und Beherrschung der Sinnesorgane, völliger Stillstand von Wahrnehmung und Handlung, Ausdauer, Geduld, Fassung bewahren, ständige geistige Konzentration, echtes Vertrauen, innere Überzeugung und Hingabe, Intelligenz, Enthaltung von Gewalt jeglicher Art, Sorge um das Wohlergehen des Ganzen, Reinheit, Glaube an die Wahrheit, Vidya (Wissen) und Veda (Grundlage des Wissens) .
Nun wird vielleicht ab hier verständlich warum ein Yoga Pfad mitunter in 10 Jahren zu einem Ziel führt, und ein tantrischer Yoga Pfad einem ein ganzes Leben lang , je nach Konstitution, befassen mag, – mit vielen, vielen (vedischen) Wissenschaften. Das Ziel wird im Laufe dieses (Lebens) Weges erreicht. –Harish Johari
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