— der KÖNIGLICHE YOGA

Die höchste Stufe des Yoga ist RAYA-YOGA, der sich mit den selbstgelenkten letzten Stufen der menschlichen Evolution befasst, die ihre Krönung in der Befreiung, im Überschreiten aller menschlichen Beschränkungen und Täuschungen finden. Man muss also darauf gefasst sein, dass weder das theoretische Studium dieser Methode noch die praktische Anwendung leicht ist.

 

 

Doch jenen, deren geistiges Unterscheidungsvermögen auch nur teilweise entwickelt ist, gibt sie ein wirksames und bewährtes Mittel in die Hand, sich aus ihren Beschränkungen und Leiden zu befreien, und zwar nicht nur für dieses Leben, sondern für alle Zeiten. Auch wenn der Strebende nicht die ganze Methode sofort praktisch anzuwenden vermag, sollte er sie – da sie ihm einen allgemeinen Einblick in das gesamte Gebiet des zu Erstrebenden in all seinen Aspekten von Anfang bis zum Ende vermittelt – wenigstens in ihren theoretischen Aspekten gründlich beherrschen. Er sollte auch versuchen, das Feld ihrer praktischen Anwendung nach und nach in dem Maß zu erweitern, wie sich sein Interesse vertieft und seine Fähigkeiten zunehmen. Dies ist die königliche Straße in unsere wahre Heimat; und wir sollten sie wenigstens theoretisch kennen, auch wenn wir zu säumen geneigt sind und noch einen langen Weg vor uns haben.

Als erstes müssen wir beachten, dass es die citta-vrittis genannten Erregungen, Einstellungen und Modifikationen im Verstand sind, welche die Wirklichkeit verfinstern und unsere wahre göttliche Natur vor uns verbergen. Werden diese durch irgendeine Methode entfernt und wird das Denken völlig rein, still und ohne irgendwelche Modifikationen, dann wird es sozusagen transparent; und wir werden der Wirklichkeit gewahr, die schon immer im Mittelpunkt unseres Bewusstseins. Erstrahlt. Im Yoga werden die Bewegungen und Veränderungen, die in verschiedenen Feinheitsgraden in unserem Gemüt vorhanden sind, Schritt für Schritt zur Ruhe gebracht, bis es dem klaren, durchsichtigen stillen Wasser in dem Glasbehälter gleicht. Es ist zugegen und dennoch nicht wahrnehmbar. Das ist der Zustand der Selbstverwirklichung. Doch müssen wir uns darüber klar sein, dass dieser Vorgang des Beseitigens der Bewegungen und Verschleierungen im Gemüt und des Gewahrwerdens der zugrundeliegenden Wirklichkeit zwar im Prinzip recht einfach erscheint, es in der Praxis aber durchaus nicht ist – infolge der vorhandenen starken Neigungen, der starken Kraft der Vergangenheit, der karmischen Einwirkungen und der Langsamkeit, mit der Veränderungen in den Bewusstseinsträgern nur herbeigeführt werden können. Deshalb ist eine lange Zeitspanne der Schulung und Übung in der Methode des Yoga nötig; und durch übervereinfachte, leichtgemachte Methoden, die manchmal angeboten werden, kann das Ziel nicht erreicht werden.

Der Erfolg ist uns sicher, aber wir müssen bereit sein, den Preis dafür in Form von Anstrengungen und Opfern zu bezahlen.

Der zweite Punkt, den wir beachten müssen, ist der, dass der Verstand durch das Licht der Wirklichkeit erleuchtet und nicht selbsterleuchtend ist. Die Wirklichkeit gleicht der Sonne und der Verstand dem Mond. Es ist die Absorbierung des Lichtes der im Verstand verborgenen Wirklichkeit, die ihm den Anschein der Realität verleiht, welche wir im Leben in unserer individuellen Welt von Gedankenbildern empfinden. Unsere Mentalwelt, jene Welt, in der wir tatsächlich leben, wäre eine tote Welt, wenn nicht das Licht und das Leben der Wirklichkeit hinter uns stünde, das sie erhellt und ihr Kraft verleiht.

Die Methode, die zur Enthüllung dieser Wirklichkeit im Yoga angewandt wird, wird samadhi genannt und ist der innerste Kern und das Wesen des Yoga. Alle anderen Übungen und Techniken im Yoga dienen lediglich zur Vorbereitung auf samadhi.

Das Wort samadhi wird für den höchsten Zustand der Meditation gebraucht, in dem man nur noch des Gegenstandes der Meditation bewusst ist und nicht mehr der eigenen Psyche selbst. Es ist der Höhepunkt der Meditation über einen Gegenstand, dessen Wirklichkeit unmittelbar erfahren werden soll. Ihm gehen zwei andere Stadien voraus. dharana und dhyana. Der Yogi beginnt mit dharana, d.i. Konzentration. Ist diese Vollkommen, geht sie in dhyana oder Kontemplation über; und wenn diese vollkommen ist, wandelt sie sich in samadhi oder Entrückung. Diese drei bilden also einen fortlaufenden Vorgang zunehmender Vertiefung der Konzentration.

Diese drei Begriffe, mit denen sich jeder ernsthafte Yoga-Schüler und jeder ernsthaft nach Selbstverwirklichung Strebende befassen muss – auch jeder, der im weltlichen Leben etwas erreichen möchte – wollen wir uns näher befasse, bzw. stellt sich so dar:

desha bhandas´cittasya dharana – Konzentration ist das Einschließen des Denkens innerhalb #eines begrenzten mentalen Gebietes (des Gegenstandes der Konzentration). (sutra III,1)

In dharana (bei der Konzentration) wird das Denken auf eine begrenzte Sphäre eingeschränkt, die durch den Gegenstand der Konzentration bestimmt ist. Dies bedeutet Einschränkung innerhalb eines Bereiches, der eine begrenzte Bewegungsfreiheit erlaubt. Das Denken ist sozusagen innerhalb eines begrenzten mentalen Gebietes integriert und muss sofort zurückgebracht werden, wenn es hinausschweift. Der Grund, weshalb eine begrenzte Bewegungsfreiheit möglich ist, während der Verstand auf einen bestimmten Gegenstand konzentriert ist, liegt darin, dass jeder Gegenstand zahllose Aspekte hat. Der Verstand kann diese Aspekte nur einen nach dem anderen vornehmen. Während er dies tut, bewegt er sich also zwar, aber in Wirklichkeit ist er doch auf den Gegenstand der Konzentration fixiert. Oder es kann der Fall sein, dass der Gegenstand eine Folge von Urteilsschlüssen erfordert, die aus vielen Stufen zusammengesetzt ist, welche logisch miteinander verbunden sind und ein integriertes Ganzes bilden. Auch hier kann es daher Bewegung geben, ohne dass man den Gegenstand der Konzentration wirklich verlässt. Nur wenn das Denken die Bedeutung ist, kann man sagen, dass dharana unterbrochen wurde. Die Hauptarbeit in dharana (oder Konzentration) besteht daher darin, den Verstand kontinuierlich bei der Betrachtung des gewählten Gegenstandes zu halten und ihn sofort zurückzuholen, wenn diese Verbindung unterbrochen wird. Das Ziel, das sich der sadhaka/sadhika  stellen sollte, ist es, fortschreitend die Häufigkeit solcher Unterbrechungen zu vermindern und sie schließlich ganz auszuschalten. Aber nicht nur die Ausschaltung der Unterbrechungen ist zu erstreben, sondern die immer vollkommenere Konzentration auf den Gegenstand als Brennpunkt. Undeutliche und verwischte Eindrücke sollten mit Hilfe der Steigerung des Grades der Wachheit und der Kraft der Aufmerksamkeit durch scharf umrissene mentale Bilder ersetzt werden. Der Zustand des Verstandes während der zeit der Beschäftigung mit dem Gegenstand ist daher ebenso wichtig wie die Häufigkeit der Unterbrechungen, die seine Verbindung mit dem Gegenstand stören.

tatra pratyayaikatanata dhyanam – Ununterbrochenes Strömen (der Gedanken) in Richtung auf den Gegenstand (der für die Meditation gewählt wurde) ist Kontemplation (Sutra III, 2)

Im vorhergehenden Sutra wurde gezeigt, dass der sadhaka/sadhika sich bemühen soll, eindringende Gedanken, die Ablenkungen genannt werden, auszuschalten; und dass er darauf hinarbeiten sollte, die Häufigkeit solcher Unterbrechungen fortschreitend zu verringern. Wenn es ihm gelingt, die Ablenkung vollständig auszuschalten und er die Konzentration auf einen Gegenstand ohne Unterbrechung aufrechterhalten kann, solange er will, erricht die Stufe von dhyana.

 

Das erste Wort dieses Sutra, pratyaya, wird in den Sutras oft verwendet. Es hat viele Bedeutungen, aber in der Yoga-Terminologie wird es gewöhnlich für den gesamten Gedankeninhalt verwendet, der den Bereich des Bewusstseins zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt. In Hinblick auf das, was oben über dharana gesagt wurde, ergibt sich, dass dieses pratyaya, mit dem der Verstand im dhyana in ununterbrochener Berührung bleibt, etwas Festes und doch zugleich auch etwas Veränderliches ist. Es ist fest in dem Sinn, dass der Bereich, in dem der Verstand sich bewegt, begrenzt ist und gleich bleibt, und er ist doch beweglich, weil innerhalb dieses Bereiches Bewegungen vor sich gehen.

Ein Beispiel mag dies erläutern: Wenn ein Wissenschaftler sein Mikroskop auf einen Tropfen schmutziges Wasser richtet, so ist sein Gesichtsfeld fest umrissen, innerhalb eines Kreises begrenzt, und er kann nichts außerhalb sehen. Aber innerhalb dieses kreisrunden Lichtflecks gibt es ständig Bewegungen vieler Art.

Das Sanskritwort tatra bedeutet >>an diesem Ort<< und bezieht sich offensichtlich auf desha oder mentale Territorium, innerhalb dessen das Denken eingeschlossen wird.

Ekatanata, was >>sich fortsetzt oder ohne Unterbrechung ausdehnend<< bedeutet, bezieht sich auf das Fehlen der Unterbrechungen, die im dharana noch vorhanden sind. Die ununterbrochene Kontinuität ist ja, wie schon erwähnt, das einzige, was dhyana von dharana, von einem technischen Gesichtspunkt aus betrachtet, unterscheidet. Diese Kontinuität kann mit dem fortgesetzten Strömen des Wassers in einem Fluss verglichen werden.

Warum ist es wesentlich, dies Art von Kontinuität zu erlangen, ehe samadhi praktiziert werden kann? Weil jede Unterbrechung eine Ablenkung bedeutet und zeigt, dass es noch an der entsprechenden Beherrschung mangelt. Wenn der Verstand von dem gewählten Gegenstand abgelenkt wird, bedeutet das, dass ein anderer Gegenstand dessen Platz eingenommen hat, denn das Denken bewegt sich unentwegt weiter, Nur im nirodha kann die Bewegung unterbrochen werden, ohne dass ein anderer Gegenstand in die Psyche eintritt. Die Kontinuität der Konzentration kann daher als Maßstab verwendet werden, wie weit die notwendige Beherrschung des Verstandes und die Intensität der Konzentration gediehen ist. Solange dhyana nicht erlangt ist, kann die Praxis von samadhi nicht begonnen werden; und die wirklichen Geheimnisse des Yoga werden dem sadhaka/sadhaki verborgen bleiben.

Tad evarthamatranirbhasam svarupasunyam iva samadhi- Das gleiche (die Kontemplation), wenn nur noch das Bewusstsein des Gegenstandes der Meditation da ist und nicht das seiner selbst (des Verstandes), ist samadhi. (Sutra III,3)

Wenn die Stufe dhyanas gut beherrscht wird, ist es zwar, möglich, den Gegenstand der Meditation viel genauer zu erkennen als durch gewöhnliches Denken, aber eine unmittelbare Erkenntnis seines eigentlichen Wesens wird noch nicht erlangt; und die innerhalb des Gegenstandes verborgene Wirklichkeit scheint sich von dem Yogi noch nicht erfassen zu lassen. Er gleicht einem Feldherrn, der bis zu den Toren der Festung gelangt ist, die er erobern soll, aber die Tore sind verschlossen, und er kann nicht in die Festung eindringen. Was steht zwischen ihm und der Wirklichkeit des Gegenstandes , den er erkennen will? Sutra II, 3 gibt die Antwort auf diese Frage: Der Verstand selbst verhindert das Gewahrwerden des eigentlichen Wesens des Gegenstandes der Meditation. Wie kommt dies zustande? Dadurch, dass er das Bewusstsein seiner selbst zwischen die hinter dem Gegenstand verborgene Wirklichkeit und das Bewusstsein des Yogi stellt. Dieses Bewusstsein seiner selbst, diese Subjektivität, ist es die als trennender Schleier fungiert und die Wirklichkeit vor dem Suchenden verbirgt.

Um zu verstehen, wie dieses Eigenbewusstein des Verstandes ein Hindernis für weiteren Fortschritt werden kann, wollen wir uns in Erinnerung rufen, wie ein solches Bewusstsein auch ein intellektuelles Wirken höchster Art beeinträchtig. Ein großer Musiker kann seine besten Werke schaffen, wenn er sich selbst vollkommen in seiner Arbeit verliert. Ein Erfinder löst seine größten Probleme, wenn er sich nicht dessen bewusst ist, Probleme zu lösen. In solchen Augenblicken erhalten derartige Menschen ihre Inspirationen und erlangen Verbindung mit dem, was sie suchen – vorausgesetzt natürlich, dass sie die Technik vollkommen beherrschen und dass ihr Verstand voll konzentriert ist. Es ist da Verschwinden des Eigenbewusstseins, welches irgendwie das Tor in eine neue Welt öffnet, in die sie normalerweise nicht eintreten können.

svarupa sunyam Iva – Etwas Ähnliches, nur auf einer viel höheren Ebene, vollzieht sich, wenn dhyana in samadhi übergeht und das Tor sich öffnet, das in die Welt der Wirklichkeiten führt. Patanjali nennt dieses Verschwinden des Eigen-Gewahrseins des Verstandes svarupa  >>des Verstandes, eigene Form<< , seine essentielle Natur verschwindet sozusagen. In diesem Satz ist jedes Wort wichtig. Was ist svarupa ? Alles Manifestierte hat zwei Gestalten: Eine äußere Gestalt, die seine oberflächliche nicht essentielle Natur ausdrückt und die rupa genannt wird. Im Fall eines Verstandes im Zustand dhyanas ist sein rupa das pratyaya oder der Gegenstand der Meditation. Durch diesen findet der Verstand Ausdruck. Sein svarupa aber ist das Rest-Bewusstsein seines eigenen Handelns, seine Rolle im Vorgang dhyanas ist essentiell die subjektive Natur des Verstandes, bzw. der Psyche. Dieses Rest-Bewusstsein wird zusehends schwächer, wenn dharana in dhyana übergeht und die Konzentration des Verstandes in dhyana zunimmt. Aber es ist, wenn auch schwach, in allen Stadien dhyanas noch vorhanden; und erst, wenn es vollständig verschwindet, geht dhyana in samadhi über.

Das Wort sunyam bedeutet Leere oder Null, und hier muss es als Null ausgelegt werden, denn es geht darum, das restliche Gewahrsein seinr selbst bis zu dem Punkt zu vermindern, wo es verschwindet, und nicht darum, das Denken bis zur  äußersten Grenze zu entleeren. Im Gegenteil, da die Gegenstände der Meditation fortfahren, den Verstand vollkommen zu erfüllen, kann es nicht in  Frage kommen, den Verstand leer zu machen. svarupa sunyam bedeutet daher, das Gewahrsein seiner selbst, die subjektive Rolle des Verstandes bis zur äussersten Grenze herabzusetzen. Damit der Schüler sich aber nicht vorstellt, dass svarupa tatsächlich verschwindet, wenn samadhi an die Stelle von dhyana tritt, setzt der Verfasser das Wort Iva hinzu, das >>als ob<< bedeutet. svarupa scheint nur zu verschwinden, aber es verschwindet nicht wirklich, denn es zeigt sich sofort wieder, wenn samadhi endet. Das scheinbare Verschwinden des Gewahrseins seiner selbst bedeutet nur die Auflösung der Subjekt-Objekt-Beziehung und ihre Verschmelzung im Bewusstsein.